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Versicherungsmakler müssen die jeweils aktuelle Rechtsprechung kennen

25/08/2016

Der Versicherungsmakler ist auch nach Abschluss des Versicherungsvertrags zu einem Best-Risk Management im Interesse des Kunden verpflichtet. Wie weit diese in § 28 Z 7 MaklerG normierte nachvertragliche Informations- und Aufklärungspflicht im Einzelfall reicht, hatte der Oberste Gerichtshof jüngst in einer Entscheidung zu klären (GZ 5 Ob 252/15t).

Demnach kann von einem Versicherungsmakler erwartet werden, laufend veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die zu einer Risikoerhöhung eines Kunden führen könnten, zu studieren und alle Kunden sofort nach Veröffentlichung der OGH-Entscheidung von den Konsequenzen zu verständigen. Hingegen wurde die von der beklagten Versicherungsmaklerin vertretene gegenteilige Ansicht von den Höchstrichtern verworfen.

Sachverhalt

Einem als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe tätigen Arzt wurde nach der Geburt eines behinderten Kindes von einer Patientin die Verletzung von Aufklärungspflichten vorgeworfen. Im anschließenden Schadenersatzprozess wegen "wrongful birth" wurde der Arzt zum Ersatz des bisherigen (gesamten) Unterhalts und des Pflegeaufwands sowie sämtlicher künftig entstehenden Unterhalts- und sonstigen Aufwendungen, Pflegeleistungen und aller Vermögensnachteile im Zusammenhang mit Obsorge und Pflege des Kindes verurteilt. Eine über die auf Ärzte spezialisierte Versicherungsmaklerin 2001 geschlossene Berufshaftlichtversicherung sah eine Versiche-rungssumme von (lediglich) EUR 400.000,- vor.

Mit Schadenersatzklagen wegen "wrongful birth" hatte sich der Oberste Gerichtshof seit 1990 zu befassen. 1999 hielt er erstmals fest, dass den Eltern eines behinderten Kindes im Falle der Ver-letzung von Aufklärungspflichten der dadurch bedingte Unterhaltsmehraufwand als Schadenersatz zustehe. 2006 sprach der Oberste Gerichtshof erstmals aus, dass in einem solchen Fall den Eltern Schadenersatz in Höhe des gesamten Unterhalts für das behinderte Kind zustehe.

Der Arzt klagte die Versicherungsmaklerin wegen Verletzung von nachvertraglichen Aufklärungsplichten. Seiner Ansicht nach hätte die Versicherungsmaklerin ihn über die 2006 eingetrete-ne Änderung der Judikatur des Obersten Gerichtshof und die damit verbundene wesentliche Erweiterung der möglichen Haftung in "wrongful birth" Fällen aufklären und ihm eine entspre-chende Erhöhung der Deckungssumme empfehlen müssen, was jedoch unterblieben ist.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes

Der Oberste Gerichtshof folgte dieser Ansicht. Von einem Makler könne erwartet werden, über einschlägige Probleme Bescheid zu wissen und richtige Auskünfte zu erteilen. Als auf Ärzte spezialisierte Versicherungsmaklerin hätte die Beklagte die "wrongful-birth"-Entscheidung aus dem Jahr 2006, die für breites mediales Interesse und Aufsehen unter Ärzten, insbesondere Gynäkologen gesorgt habe, besonders berücksichtigen müssen. Dabei reiche es nicht, dem Kunden die Entscheidung einfach bekannt zu geben.

Vielmehr wäre die beklagte Versicherungsmaklerin, die von der Tätigkeit des Arztes im Rahmen der Pränataldiagnostik wusste, verpflichtet gewesen, ihn auf die Änderung der Rechtsprechung hinzuweisen und den bestehenden Versicherungsschutz zu diskutieren, weil der Zuspruch des gesamten Unterhalts für ein behindert geborenes Kind eine wesentliche Risikoerhöhung zur Folge hatte. Die Verletzung der nachvertraglichen Aufklärungspflicht sei auch kausal für den Schaden des Klägers gewesen, weil dieser bei ausreichender Beratung bereits 2006 eine höhere Versicherungssumme gewählt hätte, die für den Schadensfall aus "wrongful birth" zur Verfügung gestanden wäre.

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Thomas Böhm
Partner
Wien